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Bundeshaushaltsentwurf 2024: Trübe Aussichten

Weder sozial noch zukunftsorientiert

Erst jüngst hat der Sozialstaat seinen Wert in der Corona-Krise und im Zuge der Auswirkungen des Ukraine-Krieges vielfach unter Beweis gestellt. Doch es war zu befürchten, dass ihn das keinesfalls vor Angriffen schützt. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund eines vermeintlich unvermeidbaren Konsolidierungskurses sowie einem zunehmenden Interesse der Wirtschaftslobby, den Sozialstaat wieder zurückzudrängen, wurden die Debatten bereits in den vergangenen Monaten schärfer.

Dabei ist der Sozialstaat auch in den anstehenden Transformationsjahren als Stabilitätsanker besonders gefragt. Soziale Sicherheit im Wandel ist eine Grundvoraussetzung um Menschen mitzunehmen und Veränderungsbereitschaft zu stärken. Jetzige Investitionen in soziale Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge wären wichtige Schritte um aktuelle soziale Probleme anzugehen und langfristig eine soziale Zukunft zu sichern: Mehr Geld fürs Gesundheitssystem, eine Kindergrundsicherung die Kinder aus der Armut holt, Entlastung für Pflegebedürftige und eine investive Bildungspolitik wären nur einige sozialstaatliche Erfordernisse, die dringend angepackt werden müssten.

Doch Fehlanzeige! Das Kabinett hat jüngst den Haushaltsplan der Bundesregierung für 2024 beschlossen. Statt Geld in die oben genannten Zukunftsprojekte zu stecken bewahrheitet sich nun, was sich lange angebahnt hat. Nicht nur gibt es keinen Ausbau des Sozialstaats, er wird im Namen der Schuldenbremse zusammengekürzt – bei steigenden Bedarfen.

Geplante Kürzungen und ihre Folgen

  • Streichung des Bundeszuschusses zur Pflege in Höhe von 1 Mrd. Euro: Auf dem Pflegesystem ist viel Druck, heute schon müssen Pflegebedürftige immens hohe Summen für ihre Pflege aufbringen (über 2400 Euro monatlich im Schnitt in der Pflege im Heim). Tendenz: es wird teurer! Die Streichung des Bundeszuschusses nimmt keinen Druck aus dem Kessel, sondern verschärft ihn. Er wurde 2022 erst eingeführt und sollte die steigenden Eigenanteile der Heimbewohner deckeln. 2024 wird so wieder mit höheren Beiträgen zu rechnen sein, Pflege wird insgesamt teurer. Der Bund entzieht sich so einmal mehr seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in dem Bereich. 
  • Kürzung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung 2024 bis 2027 um 600 Millionen Euro pro Jahr: Auch hier gilt: mehr statt weniger ist angebracht! Statt zusätzliche Mrd. in Aktienspekulationen zu stecken ist die Bundesregierung gut beraten das Umlagesystem in der gesetzlichen Rente zu stärken. Hierfür braucht es eine breitere Einnahmebasis – zu der auch ein höherer Bundeszuschuss gehört.
  • Kürzungen auch bei Forschung und Bildung - 0,4 Mrd. Euro weniger für BAföG: Das statistische Bundesamt ermittelte schon 2021, dass 38 % aller Studenten armutsgefährdet sind. Sie sind eine der Gruppen, die angesichts der steigenden Preise von der Bundesregierung im Regen stehen gelassen wurden. Zwar soll es keine Studenten sind von nominale Kürzung der BAföG-Sätze geben, angesichts der Einsparungen ist aber auch klar: eine dringend benötigte Anhebung der BAföG-Sätze um Preissteigerungen und höhere Mieten zu kompensieren wird es nicht geben. Im Kern bedeutet dies, dass die Entscheidung für ein Studium immer mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt.
  • Herabsetzen der Einkommensgrenzen beim Elterngeld: Bisher galt als Einkommensgrenze für den Bezug des Elterngeldes ein Einkommen von 300.000 € als Paar. Diese wird nun auf 150.000 € heruntergesetzt. Zweifelsohne ist die umverteilungspolitische Wirkung hier nicht stark. Aus Gleichstellungspolitischer Sicht ist diese Entscheidung jedoch rückschrittlich. Sinnvoller wäre sich endlich an das Ehegattensplitting heranzuwagen.

Neben den geplanten Kürzungen drohen zudem neue sozialpolitische Projekte wie z.B. die Kindergrundsicherung unter dem haushaltspolitischen Sparkurs hinsichtlich ihrer Wirkung weit hinter dem Notwendigen zurückzubleiben: Eine Kindergrundsicherung, die Kinder wirksam aus der Armut holt braucht nicht nur ein Zusammenlegen von Leistungen, sondern kostet Geld. DGB-Berechnungen etwa 10/12 Mrd. jährlich. Eingeplant im Haushalt 2024 sind lediglich 2 Mrd. Euro.

Leiser und lauter Sozialstaatsabbau

Zweifelsohne werden mit den jetzt anstehenden Maßnahmen direkte Leistungskürzungen weitgehend vermieden. Doch erstens braucht es diese nicht für Sozialabbau. Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen in den vergangenen Monaten tagtäglich damit kämpfen über die Runden zu kommen und steigenden Bedarfen (etwa im Pflegesystem) reicht eine Stagnation, um schleichend den sozialen Schutz auszuhöhlen. Der Schutz gegen soziale Risiken bröckelt so ohne drastische und offensiv kommunizierte Kürzungen und trifft mit den geplanten Maßnahmen besonders Schutzbedürftige hart: Pflegebedürftige, die sich die Pflegeheime nicht mehr leisten können, Kinder in einkommensschwachen Familien, Studenten ohne reiches Elternhaus. Wenn das die Perspektive für die Zukunft und der Einstieg in einen Abbaupfad ist, ist dies fatal.

Zweitens bleiben dringend notwendige Investitionen in die sozialstaatliche Infrastruktur aus: Fehlende Kitaplätze, marode, schlecht ausgestattete Schulen und überlastete soziale Einrichtungen machen den Investitionsbedarf überdeutlich. Nicht überall mag es so drastisch sein wie in Berlin. Die  Einsparankündigungen des Berliner Bezirks Neukölln aus Haushaltsgründen lesen sich wie eine Blaupause für den Rückzug des Staates in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Richtung ist aber weit verbreitet: Statt Investitionen erfolgen Kürzungen.

Im Ergebnis wird der jetzige Haushalt kurzfristig in erster Linie sozial Schwächere treffen. Langfristig gefährdet das Ausbleiben von Investitionen die erfolgreiche Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation und den Wohlstand der Gesellschaft.

Kehrtwende in der Haushaltspolitik – jetzt!

Spätestens bei diesem Haushalt zeigt sich: Das Dogma des Sparens und des konsolidierten Haushaltes für die Zukunft ist ein Märchen mit schlechtem Ende. Wer Kindern und Studenten Bildungschancen kürzt nimmt ihnen Zukunft, wer keine Anreize für Gleichstellung zwischen Geschlechtern setzt, und wer Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sich selbst überlässt macht keine vorwärts- sondern eine rückwärtsgewandte Politik. Anders als der Slogan behauptet, ist diese Haushaltspolitik weder verantwortungsvoll noch zukunftsorientiert. Im Gegenteil, sie ist eine Gefahr für heutige und zukünftige Generationen. Mit diesem Kurs droht die Zukunft kaputtgespart zu werden.

Für eine verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Politik ist das Gegenteil des Spardiktats nötig: massive Investitionen in Infrastruktur, ökologischen Umbau und einen starken Sozialstaat, nur so kann die ökologische und soziale Transformation gelingen und Solidarität in der Gesellschaft erhalten bleiben. Das ist möglich, wenn der politische Wille dazu da ist! Nur zur Erinnerung: Die Schuldenbremse mag im Grundgesetz stehen, aber es wäre erstens möglich, sie – wie in den vergangenen Jahren – erneut auszusetzen und zweitens ließe sich die Schuldenbremse auch streichen oder zumindest modifizieren. Vorschläge für eine andere, verteilungspolitische gerechtere Steuerpolitik liegen ebenfalls vielfach auf dem Tisch.

Ab September wird der Haushalt im Bundestag verhandelt. Nun gilt es darauf zu setzen, das im Bundestag noch relevante Änderungen erfolgen – auf das es sich für die Zukunft auszahlt!