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Kindergrundsicherung – und zwar jetzt!

„Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen, werden mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen. […] Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern,“ so heißt es im Ampel-Koalitionsvertrag.

Das klingt gut, denn hier besteht dringend Handlungsbedarf! Kinderarmut ist leider auch hierzulande traurige Realität. Eine baldige Umsetzung des Vorhabens Kindergrundsicherung wäre enorm wichtig und ein echter sozialpolitischer Fortschritt. Doch zurzeit gibt es in der Ampel-Koalition Streit, wie die Kindergrundsicherung ausgestaltet werden soll. Zentraler Konflikt ist die Frage, wie viel Geld für das Projekt zur Verfügung steht. Allen voran das FDP-geführte Finanzministerium pocht auf Sparen. Leidtragende der Hängepartie sind die betroffenen Kinder und ihre Familien. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist klar: Wir brauchen eine solide Kindergrundsicherung – und zwar jetzt!

 

Kinderarmut in Zahlen

Kinderarmut hat in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. 2,9 Millionen Kinder gelten nach einer aktuellen Auswertung der Bertelsmann Stiftung als ‚armutsgefährdet‘, leben also in einem Haushalt, der mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen muss. Mehr als jedes fünfte Kind ist damit von Kinderarmut bedroht. Zuletzt stieg die relative Kinderarmut durch den Zuzug geflüchteter Kinder aus der Ukraine, aber auch ohne diesen Effekt verharrt sie seit Jahren auf ähnlich hohem Niveau.

Kinderarmut hat viele Gründe: Zunächst einmal sind Kinder von Armut gefährdet, weil ihre Eltern arm sind, da sie beispielsweise arbeitslos, aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig sind oder in schlecht bezahlten Jobs arbeiten. Kinder von Alleinerziehenden sind besonders betroffen – und die aktuellen Preissteigerungen erschweren die Situation zusätzlich. Scham führt wiederum allzu oft dazu, dass armutsbetroffene Familien auf existierende soziale Unterstützungsleistungen verzichten. Entschließen sie sich doch dazu, diese in Anspruch zu nehmen, landen sie in einem Dschungel aus familien- und sozialpolitischen Leistungen, der kaum zu durchblicken, insgesamt unzureichend ausgestattet ist und viele aufgeben oder scheitern lässt – und der so am Ende eines nicht vermag: Dazu beizutragen Kinderarmut wirksam zu bekämpfen.

Die Folgen sind dramatisch: Finanzieller Mangel, soziale Entbehrungen und Scham sind Alltag für Kinder und Jugendliche, die in Armut aufwachsen. Alltag, der mit großen Belastungen für die Betroffenen einhergeht und auch mit geringeren Chancen auf gesunde Ernährung und Entwicklung sowie schlechteren Bildungs- und Zukunftsaussichten verbunden ist.

 

Unzureichend ausgestatteter Leistungsdschungel

Zwar ist das Kindergeld Anfang 2023 von 219 auf 250 Euro angehoben worden. Familien, die Bürgergeld beziehen, haben davon jedoch nichts, denn das Kindergeld wird voll auf das Bürgergeld angerechnet. Dass die Leistungen des Bürgergeldes allein wiederum für Kinder und Jugendliche nicht ausreichend sind, ist lange bekannt. Hier bestehen die Probleme des alten Hartz IV-Systems fort: Als Richtwert für die Höhe der Regelbedarfe dienen die Konsumausgaben der einkommensschwächsten 20 % der Haushalte. Ihre Ausgaben werden mit dem Existenzminimum gleichgesetzt – obwohl sie selbst zu wenig haben! Hinzu kommt, dass bestimmte Posten als nicht „regelbedarfsrelevant“ herausgerechnet werden. Das trifft vor allem Kinder und Jugendliche, für die notorisch wenig Geld zur Verfügung gestellt wird.

Zwar besteht die Möglichkeit für Bürgergeld-Familien zusätzlich Leistungen für Bildung und Teilhabe zu beantragen. Hier führen aber die geringe Bekanntheit, die komplexe Antragslage und auch die teils lebensferne Bewilligungspraxis dazu, dass die Leistung bei vielen Familien nicht ankommt.

Und auch der Kinderzuschlag, den Familien mit kleinem Einkommen, die kein Bürgergeld erhalten, zusätzlich zum Kindergeld beziehen können, wird von lediglich 35 % der anspruchsberechtigten Haushalte bezogen.

 

Kindergrundsicherung – eine Leistung, die ankommt

Will man Kinderarmut wirksam bekämpfen, muss letztlich an vielen Stellen etwas passieren – am Arbeitsmarkt (insbesondere im Niedriglohnbereich), in der Bildungspolitik, bei der sozialen Infrastruktur (Freizeit-, Sport- und Kulturangebote) aber eben auch bei einer Verbesserung der finanziellen Leistungen. Hier setzt die Kindergrundsicherung an.

Die Idee ist simpel: kein Kind soll in Armut aufwachsen, weil seine Eltern zu wenig verdienen. Dafür sollen sämtliche Leistungen, die es jetzt schon für Kinder gibt, vom Kindergeld über den Kinderzuschlag über weitere Hilfen zur Unterstützung bei Klassenfahrten etc. in einer Leistung gebündelt werden, die automatisch ausgezahlt wird. So sollen alle Familien die Hilfen bekommen, die ihnen zustehen – ohne komplizierte Antragsverfahren oder vielerlei Behördengänge.

In der Ampelkoalition wird ein Konzept diskutiert, nach dem sich die Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten zusammensetzen soll:

  • Ein Grundbetrag, den alle Haushalte mit Kindern unabhängig vom Einkommen bekommen und der an die Stelle des derzeitigen Kindergeldes und Kinderfreibetrags tritt. Er orientiert sich in der Höhe am aktuellen Kindergeld und soll regelmäßig angepasst werden. Er soll zudem nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden.
  • Ein Zusatzbeitrag, der abhängig ist vom Einkommen der Eltern und der umso höher ist je geringer das Einkommen ausfällt – aber auch eine Maximalhöhe erreicht.

Zudem soll eine Kindergrundsicherungsstelle geschaffen werden, eine Art Portal, bei dem die Leistung auch online beantragt werden kann – und zwar möglichst einfach. Spannend ist nun vor allem die finanzielle Ausgestaltung des Zusatzbeitrags. Doch was die konkrete Höhe betrifft, schweigt sich die Politik bisher noch aus – nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Finanzierungstreits.

 

Auf die finanzielle Ausgestaltung kommt es an!

Gewerkschaften fordern seit langem die Einführung einer Kindergrundsicherung. Das diskutierte Modell deckt sich vom grundsätzlichen Ansatz her mit dem Modell, das u.a. auch seitens des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ins Spiel gebracht wurde. Es verspricht erhebliche Antragsvereinfachungen und damit eine Erhöhung der Inanspruchnahme. Gewerkschaften und andere Verbände und Initiativen haben aber auch immer deutlich gemacht: Will man über sozialpolitische Leistungen wirksam Kinderarmut entgegenwirken, die tatsächlichen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen abdecken und soziale Teilhabe ermöglichen, ist auch eine Erhöhung des Leistungsniveaus zwingend. Entsprechende Berechnungen liegen vor. So hat der DGB in seinem Konzept 2020/2021 vorgeschlagen, den Zusatzbeitrag nach drei Altersgruppen zu staffeln und hier Maximalhöhen zwischen 393 und 554 Euro berechnet (inklusive pauschalem Wohnkostenanteil).  Auf dieser Basis hatte der DGB damals die jährlichen Mehrkosten auf etwa 12 Mrd. Euro beziffert. Die Zahlen wären zu aktualisieren. Klar ist aber jedenfalls: Eine wirksame Kindergrundsicherung ist nicht zum Nulltarif zu haben, sondern kostet Geld. Genau das ist Kern der Debatte.

 

Kein Herz für Kinder?

Blockiert wird die Kindergrundsicherung innerhalb der Ampel von der FDP. Im Bundesfinanzministerium befürchtet man offenbar, die Kindergrundsicherung könnte zu hoch sein und damit keine Anreize zur Erwerbsarbeit bieten. Alle Koalitionsvorhaben müssten in den Bundeshaushalt passen und die Wirkung auf den Arbeitsmarkt müsse geprüft werden, verlautbarte das Bundesfinanzministerium.

Auch am Beispiel der Kindergrundsicherung zeigt sich: die Schuldenbremse ist eine Bremse für Sozialpolitik. Die Mär von der schwarzen 0 und einem konsolidierten Haushalt, der gut für die nachwachsenden Generationen sein soll, geht genau auf ihre Kosten. Denn die schwarze 0 kommt Kinder und Jugendliche teuer zu stehen. Aus der Armut holt sie sie nicht, sie verfestigt sie. Eine Kindergrundsicherung hingegen würde dazu beitragen diese zu bekämpfen und ist gut investiertes Geld für die Zukunft.