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Bürgergeld - Bitte nachbessern!

Der Gesetzentwurf zum Bürgergeld setzt in weiten Teilen die bereits im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarten Eckpunkte um. Der Entwurf geht nun ins parlamentarische Verfahren und das Bürgergeld soll zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Das Gesetzespaket ist umfangreich und umfasst vielerlei Einzelaspekte, vor allem zwei Aspekte sind aber Anstoß der Diskussion: Der veränderte Umgang mit Leistungsbeziehenden und die Höhe des Bürgergeldes.

 

Mehr Schutz und Vertrauen – gut so!

Anstatt Kontrolle und Druck sollen künftig mehr Schutz, Respekt und mehr Vertrauen Leitlinien in der Grundsicherung sein. Der Gesetzentwurf sieht in diesem Sinn einen verbesserten Schutz von Ersparnissen und Wohnraum, abgemilderte Sanktionen sowie einen Beratungs- und Vermittlungsansatz vor, der auf Coaching und Kooperation setzt. Das ist gut für die Arbeitslosen und auch für die Beschäftigten. Denn es trägt dazu bei, dass das System der Grundsicherung einen relevanten Teil seiner Gängelpraxis verliert. Und wer seine Arbeit verliert und über längere Zeit keine neue findet, muss mit dem Bürgergeld zukünftig deutlich weniger Angst vor sozialem Abstieg haben.

Einigen, insbesondere aus dem Arbeitgeber(nahen)-Lager, geht das zu weit. Die Streichung bestimmter Sanktionen und das Setzen auf Vertrauen sende ein „fatales Signal“ in Richtung der Leistungsbeziehenden. Vermittelt würde der Eindruck, „dass es in Ordnung ist, wenn Menschen ihre Mitwirkung, wie z. B. Teilnahme an einer Maßnahme ohne nachvollziehbaren Grund verweigern“. Auch wird von manchen versucht Beschäftigte gegen Arbeitslose in Stellung zu bringen: Beschäftigte mit geringem Einkommen stünden kaum besser da als künftige Bürgergeld-Beziehende und würden „demotiviert“, heißt es immer wieder.

Einmal mehr wird hier (mindestens indirekt) das Bild des passiven Leistungsempfängers bemüht, der ein Leben im Hilfebezug für erstrebenswert hält. Schon seit langem zeigen Studien, dass dies nicht stimmt. Für die große Mehrheit der Leistungsbeziehenden ist Hartz IV „kein Ruhekissen“. Ein hoher Anteil schämt sich, Hartz IV zu beziehen. Dass viele trotzdem nicht in Beschäftigung kommen, hat verschiedene Gründe: Manche sind nicht ausreichend qualifiziert oder das, was sie gelernt haben, ist nicht mehr gefragt. Andere haben persönliche oder gesundheitliche Schwierigkeiten, die ihre Chancen bei der Stellensuche verringern. Oftmals liegen mehrere Gründe gleichzeitig vor. Unterstützung, Coaching, Vertrauen sind hier der richtige Weg. Natürlich gibt es auch Menschen, die nicht arbeiten wollen – aus welchen Gründen auch immer. Aber das ist kein Grund die Gesetzgebung an diesen Wenigen auszurichten.

Auch der Verweis, viele Beschäftigte hätten trotz Arbeit kaum mehr zur Verfügung als Grundsicherungsbeziehende sagt eher etwas über die skandalöse Ausweitung des Niedriglohnsektors und prekärer Beschäftigung aus als über zu generöse Sozialleistungen. Die konsequente Einhaltung des Mindestlohns und mehr Tarifbindung weisen hier den richtigen Weg. Druck und Sanktionen dagegen werden auch den viel beschworenen Arbeits- und Fachkräftebedarf nicht lösen. Wer gute Leute haben will, der muss auch gute Bedingungen bieten.

 

Regelsatz 502 Euro – das reicht nicht!

Der wohl größte Streitpunkt beim Bürgergeld war und ist die Höhe des Regelsatzes. Die Uneinigkeit ist so groß, dass weder im Koalitionsvertrag noch im ursprünglichen Gesetzentwurf etwas zur Höhe des Bürgergeldes zu finden war. Erst im Zuge des dritten Entlastungspakets angesichts Inflation und davon galoppierender Preise wurde eine Regelsatzerhöhung von 449 auf 502 Euro zum 1. Januar 2023 beschlossen. Zudem soll künftig bei der jährlichen Anpassung der Regelsätze die Inflation schneller berücksichtigt werden. Damit ist die Regelsatzhöhe nun zwar keine Leerstelle mehr, aber sie bleibt eine Baustelle.

Zum einen war der Regelsatz bisher mehr als auf Kante genäht und die Erhöhung um 53 Euro reicht nicht aus, um dies und die aktuelle Preisexplosion zu kompensieren. Zum anderen bleibt die überaus problematische Berechnung des Existenzminimums bislang unverändert: Die Regelsätze orientieren sich an den durchschnittlichen Ausgaben der Einkommensschwächsten. Erhoben wird jedoch nicht der Bedarf dieser Haushalte, sondern nur, was sie für Ernährung, Freizeitaktivitäten etc. tatsächlich ausgeben können. Unberücksichtigt bleiben damit sämtliche Bedarfe, die vorhanden sind, die von den Einkommensschwächsten aus Finanznot jedoch nicht gedeckt werden können. Doch damit nicht genug. Überdies werden einige Ausgaben der Einkommensschwächsten nicht oder nur zum Teil als Bestandteile des Existenzminimums betrachtet.

Diese Methode des Kleinrechnens kritisieren Gewerkschaften und Sozialverbände seit Jahren. Kompensationen allein reichen daher nicht aus. Es braucht vielmehr eine grundlegende Strukturreform der Regelsatzberechnung. Hier muss dringend nachgebessert werden.

 

Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf zum Bürgergeld

Stellungnahme des DGB zum Referentenentwurf des BMAS zur Einführung eines Bürgergeldes | DGB

 

Foto: Tim Reckmann | ccnull.de | CC-BY 2.0