Totgesagte leben länger!

Wer hat nicht alles schon das Ende des Rentensystems verkündet. Bereits 1985 war im Spiegel[1] zu lesen, dass die Renten in Gefahr seien, weil die Last der Alten für die Jungen zu groß werde. Seitdem warnen und mahnen wirtschaftsliberale Wissenschaftler, Arbeitgeberlobbyisten und ein Teil der Medienwelt, dass ohne höhere Regelaltersgrenzen und Niveaukürzungen das Umlagesystem nicht zu retten sei. Besser sei zudem, sich mehr auf Finanzmärkte als auf Solidarität und Sozialsystem zu verlassen und eine Aktienrente aufzubauen. Jüngst hat sich Arbeitgeberpräsident Dulger sogar dazu hinreißen lassen, den baldigen Zusammenbruch des Rentensystems vorherzusagen (hier[2]).

Doch seit über 130 Jahren funktioniert die gesetzliche Rentenversicherung in der ein oder anderen Form, wurde nach zwei Kriegen wieder aufgebaut und hat auch die Wiedervereinigung geschultert. Und die Vitalfunktionen zeigen, dass die alte Dame „Rentenversicherung“ immer noch recht fit ist. So belegen neuesten Zahlen zur Finanzentwicklung, dass die Rentenkasse gut gefüllt ist, die Rücklagen (die sogenannte Nachhaltigkeitsreserve) mit 41 Mrd. Euro einen Höchststand erreicht haben und die Steuerzuschüsse des Bundes sind so niedrig wie vor 20 Jahren. Zudem wird für die kommenden Jahre - trotz Baby-Boomer-Generation – eine Verlangsamung beim Abbau der Reserven erwartet. Demgegenüber wurde in früheren Prognosen noch vermutet, dass die Kasse bis spätestens 2023 leer sei, der Beitragssatz steigen und das Niveau weiter sinken werde.

Doch es kam offensichtlich anders als gedacht: Während die anderen beiden Säulen des Alterssicherungssystems (Betriebsrente und private Vorsorge) in ihrer Ausbreitung stagnieren oder gar schrumpfen und im Umfeld niedriger Zinsen kaum noch ausreichende Erträge erwirtschaften, sind die Aussichten für das Umlagesystem gar nicht so schlecht.

Und die Moral von der Geschichte? Traue den Prognosen nicht! Zweifellos sind Prognosen wichtig, weil sie Transparenz über unterschiedliche Annahmen herstellen, eine Orientierung über mögliche Entwicklungen geben und Vorschläge für Maßnahmen liefern können. Aber letztlich besteht für alle Vorausberechnungen eine grundsätzliche Unsicherheit. Das alles führt zu regelmäßigen und zum Teil sehr starken Revisionen. Daher gilt: alle, die so tun als sei die Entwicklung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes oder der Bevölkerung für Jahrzehnte vorhersehbar, wissen entweder nicht, wovon sie reden; oder sie versuchen, sich bewusst ihre Argumente zurecht zu biegen. Schon Vorausberechnungen für 5 oder 10 Jahre müssen zum Teil erheblich korrigiert werden, von Berechnungen für 40 und mehr Jahre ganz zu schweigen. Das gilt übrigens nicht nur für schlechte, sondern auch für gute Aussichten.

Katastrophenszenarien à la Dulger sind also nicht angebracht. Aber ein kritischer Blick auf die zukünftige Entwicklung schon. Bei aller Freude über gute Zahlen, sollten sie nicht den Blick darauf verstellen, dass die alte Dame „Rentenversicherung“ in die Jahre gekommen und für die Herausforderungen der Zukunft nicht optimal gerüstet ist. Denn der demografische Wandel ist real. Zukünftig müssen weniger Beitragszahler für mehr Renter:innen aufkommen. Dies ist jedoch kein Grund, den Kollaps heraufzubeschwören, denn Handlungsoptionen gibt es. Ein Anstieg bei der Beschäftigung würde zum Beispiel helfen. Dazu müssten etwa sozialstaatliche Maßnahmen ergriffen werden, die die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie entscheidend verbessern. Und auch beim Thema Zuwanderung ist noch Luft nach oben.

Ein Teil der Lösung liegt also auf dem Arbeitsmarkt. Aber nicht nur dort! Eine Solidar-Reform des Rentensystems ist trotz guter Zahlen überfällig. Der Finanzierungsmechanismus ist in die Jahre gekommen. Heute können wir es uns nicht mehr leisten, auf Beitragszahler*innen zu verzichten. Beamte, Freiberufler, Selbstständige und Parlamentarier gehören nicht in Sondersysteme, sondern ins Solidarsystem. Also her mit der Erwerbstätigenversicherung! Das ist gerechter und eröffnet mittelfristig zusätzliche Finanzspielräume. Auch der Steuerzuschuss muss neujustiert werden. Die Rentenversicherung erbringt eine Vielzahl an Leistungen, die nicht durch Beiträge gedeckt sind. Und am Ende sollte man auch über moderate Beitragssteigerungen reden dürfen. Das ist auch für die nachrückenden Generationen deutlich billiger und sicherer als mit teuren Versicherungsverträgen den politisch erzeugten Lücken in der gesetzlichen Rente hinterher zu sparen.

Dass zu einem guten Rentensystem der Zukunft nicht nur eine faire und nachhaltige Finanzierung, sondern auch auskömmliche Leistungen gehören, ist offensichtlich. Das Rentenniveau muss stabilisiert und schrittweise angehoben werden und ein wirklich flexibler und sozial abgesicherter Altersausstieg gehört zu einer modernen Rente ebenfalls dazu.

Links:

  1. https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1985-10.html
  2. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/rente-altersvorsorge-arbeitgeberpraesident-100.html