Verwirrende Hartz IV-Debatte

„Solidarisches Grundeinkommen“, „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, Abschaffung Hartz IV…?

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Langzeitarbeitslosigkeit, März 2018

In den letzten Wochen ist eine Debatte über das Hartz IV-System entfacht. Dabei ist viel im Spiel und einiges geht durcheinander. Grund genug, die Dinge etwas zu ordnen und einer Bewertung zu unterziehen.

Auch wenn die Lage am Arbeitsmarkt derzeit gut ist und die Arbeitslosigkeit sinkt, gibt es etwa 845.000 Langzeitarbeitslose, die kaum von der guten Arbeitslage profitieren und die teils schon sehr lange arbeitslos sind (siehe Grafik). Dieses Thema will die Politik nun verstärkt angehen. So hat Berlins Regierungschef Michael Müller ein „solidarisches Grundeinkommen“ für Langzeitarbeitslose vorgeschlagen und der Koalitionsvertrag sieht die Einführung eines neuen Regelinstrumentes zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose vor. Im Kern geht es in beiden Fällen darum, einem Teil der Langzeitarbeitslosen über den Weg öffentlich geförderter Beschäftigung Perspektiven am Arbeitsmarkt zu eröffnen. Einige Politiker veranlassen die Vorschläge sogar dazu, ein Ende von Hartz IV in Aussicht zu stellen. Worum geht es also genau?

„Solidarisches Grundeinkommen“

Anders als der Name vermuten lässt, ist der von Müller gemachte Vorschlag eines solidarischen Grundeinkommens kein Grundeinkommen im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens, bei dem jede und jeder, unabhängig vom eigenen Einkommen und ohne Prüfung des tatsächlichen Bedarfs, ein steuerfinanziertes Grundeinkommen vom Staat erhält. Beim solidarischen Grundeinkommen geht es um öffentliche Förderung von zusätzlicher, sozialversicherungspflichtiger und unbefristeter Beschäftigung für Langzeiterwerbslose im kommunalen Tätigkeitsbereich. Die Bezahlung soll sich am Mindestlohn orientieren. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose, die sogenannte „schwerwiegende Vermittlungshemmnisse“ und absehbar keine Chancen auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt haben. Die Aufnahme der Beschäftigung soll dabei auf Basis der Freiwilligkeit erfolgen. Wer das Angebot ablehnt, bezieht regulär Hartz IV.

„Teilhabe am Arbeitsmarkt“

In eine ähnliche Richtung geht das im Koalitionsvertrag vorgesehene neue Regelinstrument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose. Das Ziel ist es, für 150.000 Langzeitarbeitslose durch öffentliche Lohnkostenzuschüsse entweder auf dem ersten Arbeitsmarkt oder auf dem sozialen Arbeitsmarkt Beschäftigung zu schaffen. Rund vier Milliarden Euro stehen dafür bis 2021 zur Verfügung. Anders als beim solidarischen Grundeinkommen gibt es keine Begrenzung auf den kommunalen Bereich, die Tätigkeiten des sozialen Arbeitsmarktes können auch bei gemeinnützigen Einrichtungen und in der freien Wirtschaft entstehen. Die Bezahlung soll sich ebenfalls am Mindestlohn orientieren.

Auf die Ausgestaltung kommt es an

Bisher umfassen die vorliegenden Vorschläge lediglich Eckpunkte, viele Punkte der genauen Ausgestaltung sind offen – aber genau auf diese kommt es an:
So muss klar definiert sein, für wen der soziale Arbeitsmarkt überhaupt in Frage kommt. In der Gruppe der Langzeitarbeitslosen sind Menschen, die nicht lange im Hartz IV-System bleiben und die mit einer guten Qualifizierung und Betreuung auch wieder in den ersten Arbeitsmarkt finden. Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt wegen verschiedener Hemmnisse kaum Chancen haben – weil sie gesundheitliche Probleme haben oder es in ihrer Region keine geeigneten Arbeitsplätze gibt und sie wegen familiärer Verpflichtungen auch nicht umziehen können. Für diese Zielgruppe kann ein sozialer Arbeitsmarkt eine sinnvolle Möglichkeit sein. In jedem Fall sollte es ein Angebot sein, das auf Freiwilligkeit beruht.

Ebenso muss sichergestellt sein, dass reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängt werden und es nicht zu Lohndumping kommt. Wichtig hierfür ist die Orientierung an tariflicher bzw. ortsüblicher Entlohnung, sofern kein Tarifvertrag vorhanden ist. Weder der Vorschlag des solidarischen Grundeinkommens, noch das im Koalitionsvertrag geplante Teilhabeinstrument sehen dies vor. Um die Verdrängung von regulärer Arbeit und Dumping zu vermeiden wäre z.B. die Einrichtung regionaler Gremien sinnvoll, in denen unter Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitgebern über die Einrichtung und Einsatzfelder öffentlich geförderter Beschäftigung entschieden wird.

IG Metall: Zukunftsfester Ausbau sozialer Sicherung

Die Debatte über das Hartz IV-System ist längst überfällig. Die IG Metall übt seit langem Kritik daran. So gesehen ist es grundsätzlich positiv, dass die Diskussion neu entfacht ist. Dabei sind aus gewerkschaftlicher Sicht folgende Punkte wichtig:
Debatte um Wiederbelebung öffentlich geförderter Beschäftigung begleiten: Es ist grundsätzlich gut, Langzeitarbeitslose stärker in den Blick der Arbeitsförderung zu nehmen und dabei auch Perspektiven über den Weg öffentlich geförderter Beschäftigung zu bieten. Allerdings wird es darauf ankommen, wie dies konkret umgesetzt wird.
Kritik am Hartz IV-System bleibt bestehen: Die teils in der öffentlichen Debatte erfolgte Deklaration der Vorstöße als „Abschaffung von Hartz IV“ ist irreführend und falsch. Keiner der Vorschläge zielt darauf ab, Hartz IV zu überwinden. Damit existieren auch Probleme des Hartz IV-Systems fort. Aus gewerkschaftlicher Sicht besteht daher selbst bei angemessener Ausgestaltung öffentlich geförderter Beschäftigung weiterer Reformbedarf am Hartz IV-System. Dies betrifft die generelle Unterfinanzierung des Systems, die zu niedrigen Regelsätze, aber auch die Zumutbarkeitsregelungen und Sanktionen.
Weitergehende Neujustierung der Arbeitsförderung nötig: Um die Arbeitsförderung zukunftsfest zu gestalten, besteht noch weitergehender Handlungsbedarf. So ist die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit derzeit unzureichend. Jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der seinen Job verliert, landet direkt im Hartz IV-System, weil er die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I nicht erfüllt. Mittlerweile erhält nur noch etwa ein Drittel aller Erwerbslosen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, zwei Drittel befinden sich im Hartz IV-System. Der Versicherungsschutz müsste daher dringend verbessert werden. Zudem bedarf es einer arbeitsmarktpolitischen Flankierung der erwarteten Transformation der Arbeitswelt. Die Politik setzt diesbezüglich vor allem auf den Ausbau von Weiterbildung. Das ist ein wichtiger Baustein, reicht aber nicht aus. Überdacht werden müsste die häufig überzogen auf Vermittlung fokussierte Arbeitsförderung. Sie trägt nicht nur maßgeblich zur Ausweitung atypischer und prekärer Beschäftigung bei, sondern auch dazu, dass viele Erwerbslose unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation vermittelt werden. In Zeiten von Strukturwandel und Fachkräftefrage ist dies weniger denn je angemessen. Auch hier besteht Reformbedarf, damit Qualifikationen erhalten und Erwerbslose nicht Lohndumping ausgesetzt werden.