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Bürgergeld: Deutlich Federn gelassen

 

Die Union hat bis zuletzt das Gesetzesvorhaben zum Bürgergeld blockiert. Flankiert wurde die Blockadehaltung durch eine beispiellose, aus verschiedenen Ecken befeuerte Desinformationskampagne auf dem Rücken der Ärmsten. Überdeutlich wurde dabei, wie groß das Informationsdefizit über Sozialleistungen hierzulande ist und Falschinformationen entsprechend leicht verfangen. Das liegt zum einen an den komplexen Regelungen, die jenseits der Fachwelt kaum zu durchdringen sind. Aber auch in den Medien wurden vermeintliche „Aufreger“ allzu oft bereitwillig und unkritisch aufgegriffen. Sachorientierte Beiträge hatten es dagegen schwer Gehör zu erhalten. Dabei liegen ausreichend Fakten vor.

 

Die Faktenlage in Kürze

  • Jemand der arbeitet, hat immer mehr als jemand der nicht arbeitet. Das Problem ist, dass viele Menschen ihnen zustehende Leistungen (insbesondere Wohngeld oder Kinderzuschlag) nicht in Anspruch nehmen.
  • Für die übergroße Mehrheit der Leistungsbeziehenden ist Hartz IV „kein Ruhekissen“. Ein hoher Anteil schämt sich, Hartz IV zu beziehen. Von den rund 3,7, Mio. erwerbsfähigen Hartz IV-Beziehenden sind über 800.000 berufstätig und erhalten lediglich aufstockend Hartz IV, weil ihr Lohn zu gering ist. Bei denjenigen, die nicht in Beschäftigung kommen, hat dies verschiedene Gründe: Manche sind nicht ausreichend qualifiziert oder das, was sie gelernt haben, ist nicht mehr gefragt. Andere haben persönliche oder gesundheitliche Schwierigkeiten, die ihre Chancen bei der Stellensuche verringern. Oftmals liegen mehrere Gründe gleichzeitig vor.
  • Viele Menschen die arbeiten, verdienen gleichwohl zu wenig. Die jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes beziehen sich auf 2021. Danach arbeitete gut jede und jeder fünfte abhängig Beschäftigte im Niedriglohnsektor. 7,2 Mio. Menschen profitieren vom Mindestlohn von 12 Euro. Das alles sagt vor allem etwas über den weiterhin bestehenden skandalösen Niedriglohnsektor aus und nicht über zu generöse Sozialleistungen.

 

Was bringt das Bürgergeld?

  • 502 Euro Regelsatz – gut, aber nicht ausreichend

Zum 1. Januar 2023 steigt der Regelsatz von 449 auf 502 Euro. Zudem soll künftig bei der jährlichen Anpassung die Inflation schneller berücksichtigt werden. Damit kann eine gewisse Kompensation der Preissteigerungen erreicht werden. Das ist gut und aktuell wichtig.

Die grundsätzliche, problematische Berechnung des Existenzminimums  bleibt aber unverändert. Sie fußt darauf, dass sich die Regelsätze an den durchschnittlichen Ausgaben der Einkommensschwächsten orientieren. Erhoben wird jedoch nicht der Bedarf dieser Haushalte, sondern nur, was sie für Ernährung, Freizeitaktivitäten etc. tatsächlich ausgeben können. Unberücksichtigt bleiben damit sämtliche Bedarfe, die vorhanden sind, die von den Einkommensschwächsten aus Finanznot jedoch nicht gedeckt werden können. Doch damit nicht genug. Überdies werden einige Ausgaben der Einkommensschwächsten nicht oder nur zum Teil als Bestandteile des Existenzminimums betrachtet. Diese Methode des Kleinrechnens kritisieren Gewerkschaften und Sozialverbände seit Jahren. Die nächste Neuberechnung der Regelsätze steht an auf Grundlage der sogenannten Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) 2023 (Auswertung zieht sich wahrscheinlich bis 2025). Dies muss endlich für eine grundlegende Strukturreform der Regelsatzberechnung genutzt werden.

  • Aktive Arbeitsförderung verbessert

Die mit dem Bürgergeld geplanten Verbesserungen bei der aktiven Arbeitsförderung werden umgesetzt. Insbesondere wird der Vermittlungsvorrang in der existierenden Form abgeschafft und ein Weiterbildungsgeld eingeführt. So werden die Chancen auf eine nachhaltige Integration erhöht und eines der Haupthindernisse (sich eine langfristige Weiterbildung finanziell nicht leisten zu können) deutlich gesenkt. Personen, denen es schwerfällt, eine Beschäftigung aufzunehmen, können durch ein persönliches Coaching unterstützt werden. Und der soziale Arbeitsmarkt wird fortgeführt.

Das Bürgergeld verbessert damit substantiell Instrumente, um arbeitslose Menschen zu qualifizieren und nachhaltiger in Arbeit zu bringen. Nun müssen auch die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen geschaffen werden, damit die Vorhaben auch umgesetzt werden und nicht an der Personal- und Kassenlage scheitern.

  • Wesentliche Strukturreform für mehr Respekt und Vertrauen bleibt aus

Anstatt Kontrolle und Druck sollten künftig mehr Respekt und mehr Vertrauen Leitlinien in der Grundsicherung sein. Auf Druck der Union wurden im Vermittlungsausschuss eben die Elemente geschliffen, die auf einen derart veränderten Umgang mit Leistungsbeziehenden zielen. Gestrichen wurde die ursprünglich vorgesehene ‚Vertrauenszeit‘ von sechs Monaten, in denen es keine Sanktionen geben sollte. Stattdessen gilt nun ein Stufenmodell und Sanktionen sind wieder von Anfang an möglich.

Auch die Praxis der für beide Seiten (Betroffene wie Jobcenter) unsäglichen Briefe des Jobcenters wird nicht beendet. Sie ist vor allem davon bestimmt, dass die Schreiben rechtssicher formuliert sind. Eher knappen Ausführungen zu Integration oder Maßnahmen stehen seitenlange Rechtsfolgenbelehrungen gegenüber. Alle, die schon einmal ein solches Schreiben erhalten haben, wissen, wie sich das anfühlt. Der ursprünglich in den Regelungen zur Vertrauens- und Kooperationszeit vorgesehene (zeitweise) Verzicht auf Rechtsfolgebelehrungen hätte diese Praxis verändert. Dass dies nun nicht passiert, ist keine Petitesse.

Insgesamt verharrt das Bürgergeld in dieser Hinsicht im Kern in der alten Struktur. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das ursprüngliche und sehr unterstützungswürdige Ansinnen von mehr Kooperation und Augenhöhe so Realität wird.

  • Zumutbarkeitskriterien unangetastet

Das Zusammenspiel aus Vermittlungsvorrang, Sanktionen und Zumutbarkeitskriterien hat sich allzu oft als Prekaritätsmotor erwiesen. Die Vermittlung stand im Vordergrund, für Leistungsbeziehende gilt dabei jede Arbeit als zumutbar (es sei denn sie ist sittenwidrig) und die Sanktionen entfalteten den entsprechenden Druck, diese auch anzunehmen. Vorhandene Qualifikationen werden auf diese Weise entwertet, prekärer Beschäftigung Vorschub geleistet und sozialer Abstieg befördert. Nun wird der Vermittlungsvorrang überwunden, die Sanktionen aber bleiben und die Zumutbarkeitskriterien wurden im Reformvorhaben von vornherein nicht angetastet. Das macht es schwer die Wirkung dieser unheiligen Trias zu beenden.  

  • Schutzgedanke verbessert aber beschnitten

Die sogenannte Karenzzeit, in der die Wohnung geschützt und ein gewisses Schonvermögen unangetastet bleibt, wird von ursprünglich zwei auf ein Jahr verringert. Das Schonvermögen beträgt statt der geplanten 60.000 nun 40.000 Euro. Besonders schmerzlich ist hier der verminderte Schutz der Wohnung. Die Sorge, aus dem sozialem Umfeld gerissen zu werden, bleibt damit virulent. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit bedeutet dies mehr Schutz. Demgegenüber wird allerdings hinter die in der Corona-Pandemie eingeführten und noch bis Ende des Jahres 2022 geltenden Regelungen bezüglich Schutzes zurückgefallen. Und das, obwohl die Faktenlage deutlich für die Fortsetzung dieser jüngeren Praxis spricht.

  • Zuverdienstmöglichkeiten ausgeweitet

Bei Zuverdienst bleiben auch in Zukunft 100 Euro mit Blick auf das Bürgergeld nach wie vor anrechnungsfrei. Von 100 bis 520 Euro sind ab Januar 20 Prozent anrechnungsfrei. Neu ist die Stufe von 520 bis 1.000 Euro. Hier werden künftig 30 Prozent nicht angerechnet. Verbessert wird vor allem die Situation für Schülerinnen und Schüler aus Bürgergeld-Familien. Sie können künftig Einkommen aus Minijobs bis zur Höhe von 520 Euro im Monat komplett behalten. Zudem wird Einkommen aus Ferienjobs nicht auf das Bürgergeld angerechnet.

  • Zwangsverrentung ausgesetzt aber nicht abgeschafft

„Zwangsverrentung“ bezeichnet die Möglichkeit, Leistungsbeziehende ab 63 Jahren unter bestimmten Bedingungen aufzufordern, eine Altersrente zu beantragen bzw. diesen Antrag als Jobcenter selbst zu stellen. Für die Betroffenen ist dies mit lebenslangen Rentenabschlägen verbunden, die oft einen „weiteren“ sozialen Abstieg bedeuten. Diese Regelung sollte im ursprünglichen Gesetzesentwurf abgeschafft werden. Bereits im Gesetzgebungsprozess im Bundestag wurde dies verändert. Die Zwangsverrentung wird nicht abgeschafft, sondern bis Ende 2026 ausgesetzt.

 

Überwindung von Hartz IV?

In der Gesamtschau bietet das Bürgergeld in der jetzt beschlossenen Form substantielle Verbesserungen im Vergleich zum Hartz IV-System. Vor allem im Bereich der aktiven Arbeitsförderung. Hier bietet sich die Chance, dass anstatt des Prinzips „Hauptsache Arbeit“ Wege in nachhaltige Integration stärker in den Mittelpunkt rücken. Für eine Überwindung von Hartz IV reicht es aber nicht aus. Die Problematik der Regelsätze wird nicht grundlegend gelöst. Und das ursprüngliche Ziel, das Kontroll- und Repressionsregime durch ein Bürgergeldsystem zu ersetzen, welches die Würde und Leistung des Einzelnen achtet und Lebensleistung besser schützt, wird durch die seitens der Union erzwungenen Einschnitte leider nicht genügend erreicht.